Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den

Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den
Ein Rückblick in die Entstehungsphase der "Commedia sexy all'italiana"

Montag, 9. Mai 2016

L'amore difficile (Erotica) 1962 Sergio Sollima, Nino Manfredi, Luciano Lucignani, Alberto Bonucci

Catherine Spaak und Enrico Maria Salerno
Inhalt: „Le donne“ (Der Junggeselle): Es ist schon später Vormittag, als Antonio (Enrico Maria Salerno) von seiner Zugehfrau geweckt wird. Er bezahlt ihr schnell ihren Lohn, um sie loszuwerden, denn er hatte sich schon für den Nachmittag verabredet. Sein erster Versuch galt Valeria (Catherine Spaak), deren Wunsch ans Meer zu fahren aber nicht in seine Planung passte. Schließlich hat er alles was er braucht bei sich zu Hause und es dauert auch nicht lange bis Bruna (Claudia Mori), die er danach anrief, vor seiner Tür steht…

Nadja Tiller und Vittorio Gassman
„L’avaro“ (Der Hausfreund): Als er die attraktive Ehefrau (Nadja Tiller) seines Klienten (Adriano Rimoldi) kennenlernt, ändert der Rechtsanwalt (Vittorio Gassman) seine Meinung, hinsichtlich der Chancen, dessen Versicherung zu verklagen, um weiter mit dem Ehepaar verkehren zu können. Er bemerkte schnell, dass ihre Ehe nicht glücklich ist, denn sein Klient ist der Spielleidenschaft verfallen und vernachlässigt seine Frau. Offensiv versucht er sie zu verführen – bis er erfährt, dass ihr Mann längst pleite ist…

Fulvia Franco und Nino Manfredi
„L’avventura di un soldato“ (Der Soldat): Schläfrig sitzt ein Soldat (Nino Manfredi) im überhitzten Zugabteil, kaum seine Mitpassagiere wahrnehmend. Bis eine attraktive junge Frau (Fulvia Franco) einsteigt, die wie eine Witwe gekleidet ist. Sie setzt sich direkt neben den Soldaten, dem es sehr schwer fällt, sich ihrer Wirkung zu entziehen. Als er sie scheinbar zufällig berührt und sie weder zurückzuckt, noch sich beschwert, wird er mutiger…

Bernhard Wicki und Lilli Palmer
„Le serpente“ (Der Ehemann): Ein deutsches Ehepaar in den Vierzigern - Hans (Bernhard Wicki) und Hilde Brenner (Lilli Palmer) - verbringt seinen Urlaub mit dem eigenen Auto auf Sizilien. Während der Ehemann (Bernhard Wicki) vor allem an den alten Ausgrabungsstätten interessiert ist, gibt sich seine vernachlässigt fühlende Frau ihren Fantasien hin. Als sie nachts in einer einsamen Gegend mit ihrem Wagen liegen bleiben, kommt ihnen ein kleiner LKW mit zwei jungen Männern zu Hilfe. Da sie nur einen Platz frei haben, nehmen sie Hilde mit, um einen Abschleppdienst zu holen…


"L'amore difficile"  steht nicht nur am Beginn der Hochphase des Episodenfilms im italienischen Kino, sondern gehört auch zu den Fixpunkten deutsch-italienischer Zusammenarbeit in der aufkommenden erotischen Komödie. Gemeinsam mit den Co-Produktionen  "Come imparai ad amare le donne" (Das gewisse Etwas der Frauen, 1966) und  "Warum habe ich bloß 2mal ja gesagt" (Professione bigamo, 1969) symbolisiert er die Entwicklung in Richtung der erotischen Komödie der 60er Jahre und in einer Art künstlerischem Triangel auch die Unterschiede italienisch-deutscher Eigenheiten.
Der zentrale "Come imparai ad amare le donne" besaß ein zwischen den Ländern ausgewogenes Kreativteam (und wurde von mir in beiden Blogs berücksichtigt), der späte "Warum habe ich bloß 2mal ja gesagt" entstand unter deutscher Hoheit, während "L'amore difficile" noch größtenteils italienisch geprägt war. Trotzdem gehört er - nicht nur wegen Nadja Tiller, Lilli Palmer und Bernhard Wicki - auch in meine Liste des "deutschen erotischen Films".


Claudia Mori in "Le donne"
Italienische Komödien, Episoden- und Erotikfilme - aus heutiger Sicht vermischt sich alles zu einer schwer differenzierbaren Masse, gerne mit dem 68er Stempel versehen, der den Eindruck entstehen lässt, Jemand hätte 1968 einen Schalter umgelegt und die prägnanten Ereignisse dieser Zeit wären nicht das Ergebnis einer jahrelangen Entwicklung. Diese oberflächliche Betrachtungsweise führt dazu, dass Filme wie "L'amore difficile", sollten sie zufällig in irgendeinem TV-Programm auftauchen, als wenig aufregende erotische Geschichten aus Opas Zeiten wahrgenommen werden. Wer empört sich noch über eine junge Frau, die kurz vor ihrer Hochzeit mit ihrem Geliebten schläft, oder begreift die Aufregung, die einen Soldaten in einem Zugabteil packt, als dessen verschämte Berührungen von einer attraktiven Witwe nicht abgewiesen werden?

Lilla Brignone in "L'avaro"
Zurecht ließe sich anmerken, dass Filme keinen Anspruch darauf besitzen, nur aus ihrer Entstehungszeit heraus bewertet zu werden. Eine veraltete Story bleibt veraltet, auch wenn sie damals hypermodern gewesen sein soll. Nur ist das in der "Commedia all'italiana" selten der Fall, deren gesellschaftskritische Inhalte nichts von ihrer Aktualität verloren haben. Sieht man hinter die Fassade ihrer im Vergleich zur Gegenwart optisch zurückhaltenden Inszenierungen, gilt das auch für die in den 60er Jahren langsam entstehende "Commedia sexy". "L'amore difficile" oder "Erotica", wie die deutsch-italienische Co-Produktion hierzulande genannt wurde, war dafür in mehrfacher Hinsicht eine Initialzündung. Ein frühes Wagnis, dessen Einfluss auf die kommenden Jahre nicht zu unterschätzen ist.

So beliebt die Gattung des Episodenfilms in Italien unter Filmschaffenden war, kann von einer kontinuierlichen Pflege nicht die Rede sein (siehe auch den Essay „L’amore in città und die Folgen“). Nach einem kurzen Aufflackern in den frühen 50er Jahren, wurde erst der Erfolg von „Boccaccio ‘70“ (1962) zum Auslöser eines bis Ende der 60er Jahre anhaltenden Booms. Zumindest in Italien, denn über die geballte Star-Power des von Luchino Visconti, Vittorio De Sica und Federico Fellini verantworteten Episodenfilms, der die erotischen Geschichten Boccacios sehr frei in die Moderne transferierte, verfügten nur noch wenige der späteren Genre-Vertreter. Signifikant dafür ist auch, dass die erste Episode auf Grund der 3stündigen Gesamtlänge von der Produktionsgesellschaft für die Vermarktung außerhalb Italiens herausgenommen wurde. Regisseur Mario Monicelli, obwohl Anfang der 60er Jahre eine anerkannte Größe in Italien, verfügte nicht über das internationale Renommee seiner Mitstreiter.

Gastone Moschin in "Le serpente"
Eine Vorbildfunktion ist „Boccaccio ‘70“ trotzdem nicht abzusprechen – der im Jahr zuvor erschienene Episodenfilm „Le italiane e l’amore“ (Die Italienerin und die Liebe, 1961) blieb wenig bekannt - aber für eine direkte Einflussnahme war der Film zu groß. Diese Rolle steht „L’amore difficile“ (Erotica) zu, der wenige Monate später herauskam und mit seiner Experimentierfreudigkeit unter jungen Regisseuren und Drehbuchautoren die zukünftige Richtung vorgab. Besonders die in den folgenden Jahren 1963 bis 1965 herausgekommenen 14 Episodenfilme zeichneten sich durch ihren unverkrampften Umgang mit der Sexualität und den veränderten Geschlechterrollen aus. Ein Großteil dieser Filme wurde nie oder nur verspätet außerhalb Italiens im Kino gezeigt und ebnete den Weg in Richtung „Commedia sexy all’italiana“.

Adriano Rimoldi in "L'avaro"
Über den Entstehungsprozess von „L’amore difficile“ lassen sich nur wenige Fakten finden, aber diese können zumindest eine Ahnung davon vermitteln, wie sensibel das Thema „Sexualität“ Anfang der 60er Jahre angegangen werden musste. Anders als bei „Boccaccio ‘70“ stand keine bekannte Produktionsgesellschaft wie Angelo Rizzolis „Cineriz“ hinter dem Projekt, sondern teilten sich die italienische „SpA Cinematografica“ und die deutsche „Eichberg Film“ die Kosten. Für Produzent Achille Piazzi und die „SpA Cinematografica“ wurde „L‘amore difficile“ ihr letzter Kinofilm, die „Eichberg-Film“ setzte danach verstärkt auf die damals dank des Karl-May- und Edgar-Wallace-Hypes populären Abenteuer- („Kali-Yug: Die Göttin der Rache“, 1963) und Kriminalfilme („Agent spécial à Venise“ (Mord am Canale Grande, 1964)). Offensichtlich war dem frühen Ausflug ins erotische Metier kein großer Erfolg beschieden.

Dabei war der Auswahl der Stoffe der Wille zu größtmöglicher Seriosität anzumerken. Ausschließlich Werke der Literatur dienten als Vorlage, wie besonders in der deutschen Fassung mit eingeblendeten Schautafeln vor den einzelnen Episoden betont wurde. Die Kurzgeschichten der italienischen Autoren Alberto Moravia („L‘avaro“), Mario Soldati („Il serpente“), Ercole Patti („Le donne“) und Italo Calvino (L’avventura di un soldato“) sollten mit ihrem intellektuellen Gestus der erotischen Thematik die Anrüchigkeit nehmen. Wie häufig wurde die Reihenfolge der Episoden in der deutschen Fassung geändert. In diesem Fall ohne Bedeutung, da die einzelnen Kurzfilme außer der grundsätzlichen Thematik keine Gemeinsamkeiten oder innere Dynamik aufweisen. Bemerkenswerter ist die deutsche Übersetzung der Originaltitel. Aus „L’avaro“ (Der Geizhals) wurde „Der Hausfreund“, „Le donne“ (Die Frauen) umbenannt zu „Der Junggeselle“, „Le serpente“ (Die Schlange) mutierte zu „Der Ehemann“ und „L’avventura di un soldato“ (Abenteuer eines Soldaten) wurde zu „Der Soldat“ vereinfacht.

Die Absicht dahinter liegt auf der Hand – die Typisierung männlicher Charaktere sollte eine inhaltliche Klammer herstellen, widersprach aber der Intention besonders der ersten beiden Episoden. Vittorio Gassman als Rechtsanwalt in „L’avaro“ ist nichts weniger als „ein Hausfreund“ – auch nicht im ironischen Kontext - sondern von emotionaler Leere. Moravia entwarf das bösartige Bild eines überheblichen Bürgers, dessen Geiz jeden Bereich seines Lebens erfasst. Sich selbst als Frauenheld hoch stilisierend, ist er nicht in der Lage, der von ihm forcierten Annäherung der verführerischen Ehefrau (Nadja Tiller) seines Klienten angemessen zu begegnen. Ein Paradebeispiel für Feigheit und Kleingeistigkeit – und eine Paraderolle für Gassman.

Enrico Maria Salerno als „Junggeselle“ scheint da in „Le donne“ von ganz anderem Kaliber zu sein, denn die hübschen jungen Frauen stehen auf den erfahrenen Liebhaber mit künstlerisch, intellektueller Aura. Bruna (Claudia Mori) beendet zwar ihre Affäre, weil sie in zwei Tagen heiraten will, schläft aber noch mit Antonio (Enrico Maria Salerno), und die 18jährige Valeria (Catherine Spaak) springt schnell als Ersatz ein und verbringt einen zärtlichen Nachmittag mit ihm am Strand. Ein täuschender Eindruck. Nicht nur die Selbstverständlichkeit, mit der hier außerehelicher Geschlechtsverkehr zelebriert wurde, provozierte, sondern die selbstbewusste Rolle der Frauen. Der sehr von sich eingenommene Macho muss konsterniert feststellen, dass er selbst zum Sexualobjekt wurde.

In „Le serpente“ zeigt der von Bernhard Wicki gespielte Ehemann zwar die üblichen Verschleißerscheinungen einer länger andauernden Ehe, aber unsympathisch ist er nicht. Im Mittelpunkt der von Mario Soldati erdachten Story steht das Tabu-Thema Sex im fortgeschrittenen Alter, hier am Beispiel zweier Mittvierziger. Hilde (Lilli Palmer) fühlt sich von ihrem Ehemann vernachlässigt, nicht mehr begehrt. Die titelgebende „Schlange“ im italienischen Original steht für die Fantasien, die Hilde immer wieder überkommen – so hält sie ihren Gürtel aus Schlangenleder, den sie spontan öffnete und von sich warf, für eine Schlange und ruft ihren Mann um Hilfe. Mit dem Ergebnis, dass er sich über sie lustig macht. Er begreift ihr Verlangen erst, als sie zwei junge Sizilianer zu unrecht der Vergewaltigung beschuldigt.

Im Gegensatz zu den drei anderen Episoden, in der die sexuelle Interaktion, wenn auch unter sehr unterschiedlichen Voraussetzungen, direkt angesprochen wurde, scheint „L’avventura di un soldato“ unmittelbar der damaligen, sehr verklemmten Realität entnommen. Das Abenteuer, von dem der italienische Originaltitel spricht, erlebt ein Soldat (Nino Manfredi) in einem Zugabteil an der Seite einer attraktiven Witwe (Fulvia Franco). Der Typus „Soldat“ sollte die sexuellen Entzugserscheinungen noch betonen, weshalb die körperliche Nähe der jungen Frau für ihn zu einer echten Herausforderung wird. Als er bemerkt, dass sie seine vorsichtigen Berührungen nicht zurückweist, wird er mutiger, immer auf der Hut vor seiner Umgebung. Doch ständig kommt ihm etwas in die Quere – einmal glaubt er sich endgültig erwischt, als die gegenüber sitzende kleine Tochter ihrer Mutter etwas ins Ohr flüstert und sie daraufhin das Abteil verlassen.

Ein echtes Abenteuer, aber ohne Happy-End. Am Ende steht der Soldat einsam auf den Gleisen eines verlassenen Kleinstadt-Bahnhofs, während sich die Witwe und sein Zug in unterschiedlichen Richtungen entfernen. In der deutschen Fassung das schöne Schlussbild eines Films dessen Humor nur sehr rudimentär die Verlogenheit der vorherrschenden Moral und der zementierten Geschlechterrollen überdeckte und damit die Linie für die kommende „Commedia all’Italiana“ und deren Ableger „Commedia sexy“ vorgab. Dass die Drehbuchautoren Sandro Continenza, Ettore Scola und Fabio Carpi sowie die Darsteller Catherine Spaak, Nino Manfredi, Vittorio Gassman, Enrico Maria Salerno und Gastone Moschin zu den kommenden Größen der „Commedia all’italiana“ gehören sollten, unterstreicht noch die Bedeutung von „L’amore difficile“. Das gilt auch für Lilli Palmer, Bernhard Wicki und besonders die Rolf Thiele-Muse Nadja Tiller als Vertreter der „deutschen Produktion“.

Einzig am Regie-Pult lassen sich keine prominenten Namen finden. Sergio Sollima gehört heute zwar zu den profiliertesten Vertretern des Italo-Western und frühen Poliziesco, aber seine Inszenierung der Episode „Le donne“ blieb seine einzige Beteiligung an einem Episodenfilm der „Commedia all’italiana“. Erst drei Jahre später begann seine eigentliche Karriere als Regisseur mit „Agente 3S3: Passaporto per l'inferno“ (Agent 3S3 kennt kein Erbarmen, 1965). Die übrigen Episoden übernahmen der Autor Luciano Lucignani sowie die Schauspieler Alberto Bonucci und Nino Manfredi, für die der Ausflug ins Regie-Fach eine seltene Ausnahme blieb. Der Grund dafür, wie bei den zuvor beschriebenen Umständen der Produktion, lässt sich im Risiko finden, dass mit der Thematik „Sex“ Anfang der 60er Jahre noch verbunden war. Es bedurfte junger, experimentierfreudiger Regisseure, Autoren und Darsteller – der Anfang war gemacht.

"L'amore difficile" Italien, Deutschland 1962, Regie: Sergio Sollima, Nino Manfredi, Luciano Lucignani, Alberto Bonucci, Drehbuch: Ettore Scola, Sandro Continenza, Fabio Carpi, Nino Manfredi, Renato Mainardi, Giuseppe Orlandini, Alberto Moravia (Kurzgeschichte), Mario Soldati (Kurzgeschichte), Ercole Patti (Kurzgeschichte), Italo Calvino (Kurzgeschichte), Darsteller : Catherine Spaak, Claudia Mori, Enrico Maria Salerno, Vittorio Gassman, Nadja Tiller, Lilla Brignone, Bernhard Wicki, Lilli Palmer, Gastone Moschin, Fulvia Franco, Nino Manfredi, Laufzeit : 117 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Sergio Sollima:

"La resa dei conti" (1966) 
"Faccia a faccia" (1967) 
"La città violenta" (1970) 

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Der Name "L'amore in città" bezieht sich auf einen Episoden Film aus dem Jahr 1953, der erstmals Regisseure in Italien dazu brachte, ihre extra dafür geschriebenen und gedrehten Kurzfilme zu einem Gesamtwerk zu vereinen. Der Episodenfilm steht symbolisch für eine lange, sehr kreative Phase im italienischen Film, die in vielerlei Hinsicht stilbildend für die Kunstform Film wurde. Die intensive Genre-übergreifende Zusammenarbeit unter den Filmschaffenden war eine wesentliche Grundlage dafür.